Das Regierungspräsidium (RP) Freiburg hat eine rechtsaufsichtsrechtliche Prüfung des Handelns des Jugendamtes des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald im Zeitraum ab dem 28.07.2014 durchgeführt. Das RP ist Rechtsaufsichtsbehörde des Landkreises.
Das Kreisjugendamt unterliegt der Rechts-, nicht aber der Fachaufsicht des RP. Bei der Jugendhilfe handelt es sich um eine weisungsfreie Pflichtaufgabe. Die Aufsicht hat zum Ziel, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sicher zu stellen. Das bedeutet, dass die Überprüfung auf Rechtsfehler erfolgte. Die Rechtsaufsicht hat keine eigene fachliche Einschätzung des Geschehens getroffen. Das RP weist deshalb im Prüfbericht darauf hin, dass im Rahmen der erfolgten Überprüfung keine fachliche Überprüfung beispielsweise anhand von Kriterien aus dem Bereich Sozialarbeit / Sozialpädagogik / Psychologie etc. durchgeführt wurden.
Vor diesem Hintergrund hatte die Prüfung folgenden Umfang:
a) Personelle Ausstattung und Organisation des Kreisjugendamtes,
b) Verfahrensstandards des Landkreises bei Meldungen von Kindeswohlgefährdungen,
c) Materiell-rechtliche Prüfung gem. § 8 a Abs. 1 SGB VIII.
Das RP kam dabei zu folgendem Ergebnis (Zitat aus der Pressemitteilung des RP vom 16.02.2015):
„Das Regierungspräsidium konnte keine Defizite oder Mängel bei der personellen Ausstattung des Kreisjugendamts feststellen. Auch offensichtliche Verfahrensfehler waren nicht zu erkennen. Das Landratsamt hat den Fall offenbar intensiv begleitet und dabei seine eigenen Verfahrensstandards eingehalten, insbesondere wurde das vorgeschriebene Mehraugenprinzip durchgängig beachtet. Diese Standards entsprechen zudem den einschlägigen Empfehlungen der Kommunalverbände und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendämter. Dennoch sieht das Regierungspräsidium Potenzial für Verbesserungen. So schlägt die Rechtsaufsicht vor, die Fachbereichsleitung bzw. Dezernatsleitung früher einzubeziehen, die Kommunikation innerhalb der Hilfenetzwerke zu intensivieren und Entscheidungen und Abläufe genauer zu dokumentieren. Die Freiburger Behörde geht davon aus, dass das Landratsamt diese Punkte nun in die Arbeit der angekündigten Expertenkommission einbringen wird.
Die Gefährdungseinschätzung kann durch die Rechtsaufsichtsbehörde nur eingeschränkt überprüft werden. Das Regierungspräsidium bittet das Landratsamt, diese Gefährdungseinschätzung intensiv aufzuarbeiten. Dabei sollte u.a. untersucht werden, wie die Mitwirkungsbereitschaft der Mutter und ihres Lebenspartners berücksichtigt wurde. Außerdem sollte das Landratsamt klären, wie die Belastungssituation des Lebensgefährten nach der Klinikaufnahme der Mutter im Dezember 2014 eingeschätzt wurde.“
Im Prüfbericht wurde das Landratsamt aufgefordert, die nach Ansicht des RP nicht ausreichend dokumentierten Gesichtspunkte zur Gefährdungseinschätzung zu prüfen und über die Ergebnisse zu berichten. Diese Fragen wurden, soweit möglich, bei der Übergabe des Prüfberichts am 16.02.2015 durch schriftliche Stellungnahme beantwortet und werden, soweit noch offen, selbstkritisch in die interne Fallanalyse aufgenommen.
Zu den Verfahrensstandards hat der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) als überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe gegenüber dem RP wie folgt Stellung genommen:
„Im Rahmen der Prüfung wurde vom KVJS bestätigt, dass das Jugendamt des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald ein sehr hohes Niveau bei der aktiven Intervention und der Entwicklung und Umsetzung von Standards im Kinderschutz hat. Das Kreisjugendamt ist nach seiner Einschätzung sehr aktiv bei der Weiterentwicklung von Handlungsgrundsätzen.“
Bereits mit Schreiben vom 09.02.2015 hatte Frau Landrätin Störr-Ritter dem RP folgendes mitgeteilt:
a) Der Landkreis möchte den Fall gemeinsam mit der Universitätsklinik Freiburg, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, aufarbeiten.
b) Der Landkreis kündigt an, eine Gruppe von externen Experten zu beauftragen, eine Beurteilung des Geschehens vorzunehmen und Vorschläge zu unterbreiten, was künftig im Kinderschutz im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald verbessert werden soll.
c) Weiter ist geplant, mit externer Begleitung zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes eine Fallaufarbeitung durchzuführen.
Deshalb hat das RP zum Schluss des Prüfberichts gegenüber dem Landkreis auf dieses Schreiben hin angeregt, bei diesen Maßnahmen folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
a) Die Dokumentation (Ziffer 7 der Verfahrensstandards (VS) des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald) sollte enger an den gesetzlichen Anforderungen des § 8 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ausgerichtet werden. In dem Dokumentationsraster muss hervorgehoben werden, dass alle relevanten Gesichtspunkte für die Gefährdungseinschätzung und die Konzeption des Hilfeangebots nachvollziehbar dargestellt werden müssen. Zwischen Tatsachenfeststellungen und den daraus abgeleiteten Bewertungen muss deutlich getrennt werden. Eine verbesserte Dokumentation stärkt die Strukturierung des Erkenntnis- und Entscheidungsprozesses und erleichtert eine nachträgliche Rekonstruktion des Verfahrens i.R. von § 8 a SGB VIII. Diese Strukturierung / Nachvollziehbarkeit wird im Übrigen nicht nur relevant für die Selbstkontrolle des Prozesses, sondern darüber hinaus im Hinblick auf eine (interne oder externe) Fallabgabe, eine supervisorische Kontrolle des Fallmanagements, aber auch bei der Klärung der Verantwortung im Kontext eines Disziplinar- oder Strafverfahrens (so auch Wiesner in: SGB VIII; 4. Auflage 2011; zu § 8 a SGB VIII, Rd. 28 m.w.N.).
b) Die Kommunikation innerhalb des Hilfenetzwerks (runde Tische etc.), Uniklinik / Kinderschutzzentrum sollte intensiviert werden. Zumindest im Einzelfall sollten die Möglichkeiten für eine fortlaufende Einbeziehung des Kinderschutzzentrums bei der weiteren Hilfegewährung geschaffen werden.
c) Bereits jetzt sehen die VS vor, dass die Fachgruppenleitung in komplexen Fällen einzubeziehen ist (Ziffer 4). Bei einer Fortschreibung der VS sollte diese Verpflichtung deutlich erweitert und über die Fachgruppenleitung hinaus auch auf die Fachbereichsleitung bzw. in Einzelfällen auch auf die Dezernatsleitung ausgedehnt werden. Bei Meldungen von bestimmten, besonders qualifizierten Stellen (Kinderschutzzentrum; Kinderärzte) sollte dabei ausdrücklich geregelt werden, dass zwingend die Führungsebene eingebunden werden muss.
d) Besser in der Akte dokumentiert werden sollten auch die Entbindungen von der Schweigepflicht. Eine telefonische Entbindung ist nicht ausreichend (so aber AS I/207). Die vorliegenden Schweigepflichtentbindungen sollten dabei zur besseren Übersichtlichkeit auf dem Stammdatenblatt zu Beginn der Akten notiert werden.
e) Ebenso sollten alle Überwachungsaufgaben (wie hier z.B. die regelmäßigen 14-tägigen Kinderarzttermine zur Überwachung des Gesundheitszustandes) intensiver wahrgenommen werden (Wiedervorlagesystem). Hierzu sollten alle erforderlichen Überwachungen einschließlich der Erledigung fortlaufend und regelmäßig zentral in der Akte dokumentiert werden.
f) Sollte sich im weiteren Verlauf des Verfahrens Anhaltspunkte für ein individuell vorwerfbares Fehlverhalten einzelner Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter ergeben, stellt sich die Frage nach einer Einleitung von disziplinar- bzw. arbeitsrechtlichen Maßnahmen durch den Landkreis.
Diese Gesichtspunkte sollen wie vom RP vorgeschlagen mit den Experten aufgearbeitet werden. Zum Verfahren wurde darüber hinaus von Seiten der Medien wiederholt folgende Frage gestellt:
Stimmt es, dass am 14.10.2014 bei einem Termin mit der betroffenen Familie und ihrer Anwältin von einem einzigen Sachbearbeiter allein entschieden wurde, dass die Kinder wieder zum Stiefvater zurückkehren dürfen und der Umgang von Stiefvater und Kindern fortan ohne Aufsicht stattfinden kann?
Das Landratsamt hat die Frage wie folgt beantwortet:
Dies stimmt nicht. Unser Verfahren zum Kinderschutz sieht vor, dass Entscheidungen im 6-Augenprinzip beraten und getroffen werden. Dieses ist konsequent umgesetzt worden. Der fallführende Sachbearbeiter hat nicht allein über diesen Fall entschieden. Dies ist in der Akte dokumentiert.